​​RN2021

Wie ein Traum, der einen auch nach dem Aufwachen nicht loslässt, so bewegen sich die Bilder von Rainer Neumeier über ihren Rahmen hinaus. Obwohl sein Werk durchgehend stark verdichtet in Erscheinung tritt, ist es gekennzeichnet durch formale Variationen: abwechselnd pulsierend und minimal, mal strukturiert, mal fließend. Neumeiers Werk deckt Gemälde als Orte der Schönheit und des Zweifels auf.

Dennoch besteht kein Anspruch auf absolute Verbindlichkeit. Ganz im Gegenteil: Neumeier scheint Schwachstellen in der Geschichte der Abstraktion und des Mark-Making auszuloten, ebenso wie im weit gefächerten Spektrum digitaler Phänomene. Bisweilen wirken seine Bilder fragil, vor allem im physischen Sinne – etwa wenn sie an den Rändern zu schmelzen scheinen –, ganz besonders aber im Hinblick auf die sie auslösenden Wahrnehmungsprozesse. Neumeier legt Fehldeutungen offen und deckt die Anfälligkeit des Grids für Verfremdungen, für Korrosion und Zersetzung offen. Das Ergebnis sind ambivalente und diskursiv gestaltete Arbeiten, die zunächst scheinbar ruhig und dann plötzlich stark aufgeladen wirken.

Diese Intensität von Neumeiers Gemälden ergibt sich aus ihrem Entstehungsprozess: Der Künstler arbeitet auf Holzplatten, die er in seinem Berliner Atelier flach auf Tische legt, um Acrylfarbe geschmeidig über die Bildträger zu gießen und die daraus resultierenden Schichten anschließend abschaben zu können. Manchmal setzt er grobmaschige Gewebe ein, um der Farbe auf der Platte eine Struktur vorzugeben. In anderen Bildern verlässt er sich dagegen gänzlich auf den wirbelnden, farbigen Kosmos, der durch die Verschmelzung von nassen und trockenen Schichten, durch die Kombination von Druck und Schwerkraft hervorgerufen wird. In beiden Fällen sprechen Neumeiers Arbeiten von einer vollständig ineinander verwobenen virtuellen und analogen Existenz. Der Blick darauf versetzt uns an einen Ort, an dem Einsamkeit möglich ist – und doch niemand in seiner Isolation gefangen bleibt.

Jeder Teil von Neumeiers Arbeitsprozess ist in das Ökosystem seines Ateliers integriert: abgeschabte, abgetragene oder gekratzte Acrylschichten werden in Kisten aufbewahrt, wie vielfarbige Schichten von Puzzleteilen, die auf ihre Passung in ein größeres Bild warten; Pinsel, die immer wieder in Eimer mit weißem Gesso getaucht werden, akkumulieren Schichten und hängen als skulpturale Zeugnisse ihres Entstehungsprozesses gleichsam als makellose, unerschütterliche Kontrapunkte zu den stark farblich aktivierten Sedimentbildern; eine Sammlung von Fundstücken steht aufgereiht und markiert die Grenzen der Werkstatt. Neumeiers Netz aus Referenzen ist ebenso weitreichend und kohärent wie die Ergebnisse seiner Arbeit. Von Science-Fiction zur Natur, von der Maschine zur Mikrobiologie, achtet er auf die Mikrokosmen von Kleinstteilen und die weit umfassenderen Systeme, die diese bilden.

In einer Zeit, in der viele Künstler ihre Arbeiten dazu nutzen, eine Botschaft zu vermitteln, die häufig mit einer stark individualisierten Erfahrung zu tun hat, erkundet Neumeier ein Terrain, das mehr daran interessiert ist, die Hand des einzelnen Autoren zu löschen. Sein Werk schafft einen Code, den er gleichzeitig zu knacken versucht. Dieser Code lädt uns ein, in seine Störung einzudringen, und übergibt uns im Akt des Betrachtens und Interpretierens einem erratischen Schwebezustand.

Isabel Parkes, 2021

RN2021

Like a dream that stays with you after waking, Rainer Neumeier’s paintings move beyond their frames. Although uniformly dense, his work is marked by formal variation: by turns vibrant then minimal, tightly patterned then fluid. Neumeier’s work reveals paintings as sites of beauty and doubt.

But it is by no means absolute. Quite the opposite: Neumeier seems to explore weaknesses in the history of abstraction and mark making all together, as well as in the wide realm of digital aesthetics. At times, his paintings appear fragile, particularly in a physical sense – for instance when they seem to melt at their edges – but most often in terms of perception. Neumeier lays bare misreadings and the susceptibility of the grid to abuse, corruption, decay. The results are ambiguous and destabilizing works of art that appear at first, quite neutral, then suddenly, charged.

The intensity of Neumeier’s paintings derives from their process: the artist works on wooden boards, laid horizontally on tables in his Berlin studio in order to enable him to more flexibly pour then scrape acrylic across their surfaces. At times, he employs forms such as wire to dictate the structure of the paint on board. At others, he relies solely on the swirling, colorful cosmos rendered by combining wet and dry layers, pressure and gravity. In both, Neumeier’s work speaks to a fully intertwined virtual and analogue existence. Looking at it transports us to a place where solitude is possible, but no one is kept in isolation.

Every part of Neumeier’s process is integrated into an intricate studio-ecosystem: shaved or scraped off layers of acrylic are stored in boxes, like stratified puzzle pieces to be fit into some bigger picture; paint brushes dipped time and again into buckets of white gesso accumulate layers and hang as sculptural testaments to an act as well as blank, steadfast counterpoints to more lively renderings; an array of found objects edge along the rooms’ perimeters. Neumeier’s inspiration is both as far reaching and as coherent as the results of his work. From sci-fi to the natural world, machinery to microbiology, he pays attention to bit parts and the larger systems they enact.

Operating in an era in which many artists use their work to spell out a message, frequently that has to do with singular experience, Neumeier explores a terrain more interested in erasing the hand of an individual author. His work creates a code he simultaneously attempts to crack. It invites us into its glitch and suspends us in the acts of both looking and interpreting.

Isabel Parkes, 2021